von kathrin kloeckl

Wieso stellen Bücher für uns ein besonderes Medium dar? Wieso schrecken wir etwa davor zurück, Bücher zu zerstören, sie zu zerreissen oder zu verbrennen? Und selbst Bücher wegzuwerfen, erscheint nicht wenigen Menschen als skandalös. Was unterscheidet also das Medium Buch von anderen?
Für mich lassen sich Antworten auf diese Fragen am besten aus medienhistorischer Perspektive beantworten. In der Geschichte des Mediums Buch entdecken wir auf mehreren Ebenen Spuren, die über das Buchobjekt hinausweisen: Spuren einer körperlichen Präsenz, die das Buch zum Stellvertreter seines Verfassers werden lassen; Als dessen metaphorische und tatsächliche Körpererweiterung. Denn aus medienhistorischer Perspektive hallt jedem Buchobjekt das Echo des physischen Schreib- und Zeichenaktes nach. Ein Akt bei dem in der handschriftlichen Epoche der alten Bücher bei jedem Buch von einem tatsächlichen physischen Kontakt des/r Autors/in mit dem Buchobjekt auszugehen war. Und auch noch das Buch der „Handdruckperiode, die grob gesprochen von Gutenberg bis Goethe reicht, von 1450 bis 1800“ (Eybl 2011: S. 321), ist das unmittelbare Produkt körperlicher, menschlicher Arbeit. Denn das „Buch dieser Zeit, das ‚Alte Buch‘, wie es bei den Sammlern, den Antiquaren und in den Spezialabteilungen der Bibliotheken heißt, ist durch und durch handgemacht.“ (Eybl 2011: S. 329).
Neben diesem antizipierten Körperkontakt manifestiert sich die Spur des Körpers im Buch in dieser Epoche aber auch auf einer noch viel direkteren, materiellen Ebene. War doch das Material, auf dem geschrieben wurde Pergament, fabriziert aus Tierhäuten und damit selbst ein Körperteil, wie auch die häufig aus Leder gemachten Einbände. Aus Körpern werden also Bücher geformt. Und selbst wenn diese produktionstechnischen Prämissen im Zeitalter industriell gesteuerter Buchproduktion, sowohl auf der Ebene des Schreibaktes, als auch auf materialtechnischer Ebene, verschwunden sind, bleiben unser Rezeptionsverhalten und unser Umgang mit dem Medium Buch stark von dieser historischen Erfahrung geprägt. Nicht zuletzt werden Bücher auch auf einer immateriellen, metaphorischen Ebene als Körperextension begriffen. Sie werden zu externen Trägern individueller und kollektiver Gedankenwelten und können zur Verkörperung des Geistes ihrer AutorInnen werden. Ähnlich beschreibt es auch Kirsten Dickhaut:
„Der zentrale Gedanke in der Vorstellung über Bücher ist also, daß sie als Erweiterung der Körperfunktion des Menschen verstanden werden, weil Logos, d.h. Ratio, Gedächtnis, Phantasie und Witz in Büchern ausgelagert zu sein scheinen und durch sie haltbar, d.h. tradierbar gemacht werden.“ (Dickhaut 2007: S. 164)
In dieser Annahme könnte also eine erste Erklärung für unsere Skrupel liegen, Büchern „Gewalt“ anzutun; sie zu zerreissen, wegzuwerfen oder gar zu verbrennen. Denn so Mona Körte und Cornelia Ortlieb: „Das Buch zu achten, es sorglich zu behandeln, von seinen Feinden zu schützen und über die Zeit zu retten, ist in unserem Kulturkreis längst säkularisierte, heilige Pflicht […]. (Körte/ Ortlieb 2007: S. 10)
Das vielschichtige Spannungsverhältnis des Begriffspaares Buch-Körper erlaubt aber auch die Umkehrung des oben stehenden Satzes: „Aus Körpern werden Bücher geformt.“ Denn mit Rekurs auf philosophisch-kulturwissenschaftliche Modelle, entwickelt in Disziplinen wie Gender-Studies, Diskursanalyse und Postkolonialismusstudien, muss natürlich auch festgehalten werden, dass durch Bücher ebenso Körper geformt werden. Vermittels diskursiver Normierungsarbeit schreiben sich demnach selbstverständlich auch kulturelle Normen und Muster über Bücher in die Körper ein. Man denke nur an die schier endlosen Publikationen die Anleitung zur Abrichtung, Modellierung und Idealdarstellung des Körpers der Frau bieten. Und nicht zuletzt spiegelt sich die Spur des Körpers auch in der Terminologie, mit der wir über Bücher sprechen. So hat jedes Buch etwa einen Rücken und jede Buchseite einen Kopf- und einen Fußsteg. Jedes Buchobjekt selbst ist natürlich auch ein Objektkörper, der betastet, räumlich positioniert und verändert werden kann. Oder, wie Körte und Ortlieb festhalten:
„Körper ist das Buch somit, quaderförmiger, bis auf Ziegelsteinformat verdickter Papierleib […]. (Körte/ Ortlieb 2007: S. 9.)
Alle oben beschriebenen Merkmale verleihen dem Buch einen Sonderstatus unter den Medien. Hinzu kommt, gerade in Hinblick auf digitale Trägermedien, der Aspekt der Dreidimensionalität in der Organisation und Darstellung von Inhalten. Denn die Dreidimensionalität des Buches erlaubt wie kein anderes Medium ein räumliches Neben- Unter- und Übereinander von Bild und Text. Die Möglichkeit zur Schichtung und Gleichzeitigkeit ist eine Kernkompetenz des Buches, die uns erlaubt komplexe, umfangreiche und vielschichtige Inhalte besser und nachhaltiger zu Erfassen.
Und mit dem Begriff der Nachhaltigkeit ist auch schon das Stichwort für eine weitere zentrale Qualität des Buches gefallen: seine Eignung zum längerfristigen Speichermedium. Überdauert es doch mit heutigen Produktionstechniken, wenn auch nicht wie die Alten Bücher der Handdruckperiode mehrere Jahrhunderte, so zumindest mehrere Jahrzehnte und damit auch mehrere Generationen und kann ohne Rückgriff auf andere Hilfsmedien jederzeit, direkt rezipiert werden – die Kulturtechnik des Lesens vorausgesetzt. Dies verleiht dem Medium Buch eine enorme Autonomie und Effizienz.
Selbstverständlich spielen für den Sonderstatus des Buches auch traditionelle Sozialisations- und Rezeptionsmuster eine Rolle, die uns trotz aller Verheißungen der digitalen Multimediaepoche bei der Lektüre von Kunst und/oder Literatur immer noch zum Buch greifen lassen. Und so kann sich das Buch in diesem Kontext auch weiterhin behaupten, oder wie Dominique Moldehn festhält: „Seine Leistungsfähigkeit und Ökonomie sowie seine Exklusivität, die daran erinnert, daß es einst göttliches Medium war, haben das Buch zum Motor und zum Zeichen für Kultur prädestiniert.“ (Moldehn 1996: S. 11).
Vor diesem medientheoretischen und historischen Hintergrund wird also klar, wieso das Buch auch heute noch seinen Sonderstarus unter den Medien behaupten kann. Der vielbeschworene Tod des Buches ist also nicht eingetreten und scheint sich auch in naher Zukunft nicht ab zu zeichnen. Wohl aber der Verlust seines Status’ als Leitmedium. Und so sucht sich das Buch seine Nische. Eine Bewegung, in der bei aller Furcht vor der Gefahr der Marginalisierung (Vgl. Bluhm (2009): S. 238) auch eine Chance liegen kann. Denn die Nische lädt zum Experiment ein und fordert RezipientInnen wie ProduzentInnen gleichermaßen.
Verwendete Literatur
Bluhm, Detlef (2009): Von Autoren, Büchern und Piraten. Kleine Geschichte der Buchkultur. (2009). Zürich: Artemis und Winkler Verlag.
Dickhaut, Kirsten (2007): „Der Mensch als Bücherfeind: Biblioklasten – Bibliophile – Bibliomane.“ In: Körte M./ Ortlieb C. (Hrsg.) (2007): Verbergen, Überschreiben, Zerreißen. Formen der Bücherzerstörung in Literatur, Kunst und Religion. Berlin: Erich Schmidt Verlag, S. 163-182.
Eybl, Franz M. (2011): „Vom Sammeln alter Bücher oder Das Einzigartige und die Masse.“ In: Eder, Thomas/ Kobenter, Same und Plener, Peter (Hrsg.) (2011): Seitenweise was das Buch ist. Wien: Edition Atelier. S. 320 -334.
Körte Mona/ Ortlieb Cornelia. (2007): „Formen des Buchgebrauchs in Literatur, Kunst und Religion. Eine Einführung.“ In: Dies. (Hrsg.) (2007): Verbergen, Überschreiben, Zerreißen. Formen der Bücherzerstörung in Literatur, Kunst und Religion. Berlin: Erich Schmidt Verlag, S. 9-30.
Moldehn, Dominique (1996): Buchwerke. Nürnberg: Verlag für moderne Kunst.